Sexueller Missbrauch – Bauchgefühl statt Diagnostik
Steht der Verdacht sexueller Missbrauch an einem Kind erst einmal im Raum, missachten Jugendämter gewissenhaft die Einschätzungen von Fachleuten. Wo die Inobhutnahme anfängt, muss die Diagnostik offenbar dem „Bauchgefühl“ weichen, obwohl man in der Stadt Herford und in Hamm nach eigenem Bekunden einzig die Wissenschaft als Goldstandard akzeptiert. Dennoch scheinen die Uhren in NRW irgendwie anders zu ticken.
Sexueller Missbrauch: In NRW gilt das Bauchgefühl
Schon im Missbrauchsskandal auf dem Campingplatz in Lüdge, auf dem mindestens 34 Kinder vom Pflegevater Andreas V. und Mario S. über Jahre hinweg in über 1000 Einzeltaten sexuell missbraucht wurden, verließ sich das damals zuständige Jugendamt Hameln auf sein Bauchgefühl.
Landrat Tjark Bartels:
„In den Akten der Behörde sind mehrere Hinweise notiert worden, die Andreas V. als Pädophilen hätten entlarven müssen. Zunächst hatte das Jugendamt immer beteuert, es hätte keine Kenntnisse über einen möglichen sexuellen Missbrauch gehabt.“
In den Akten des Jugendamtes seien Wesenszüge von Andreas V. als auffällig beschrieben worden. In einem Vermerk von November 2017 sei festgehalten worden, dass Andreas V. immer wieder den Kontakt zu jungen Mädchen suche.
Jugendamt löscht Hinweise aus der Akte
Drei bekannte Hinweise aus dem Jahr 2016 von einem besorgten Familienvater Jens R. aus Bad Pyrmont, einer Jobcentermitarbeiterin aus Lippe und einem Mitarbeiter der Familienhilfe seien beim Jugendamt eingegangen. Darüber hinaus habe die Psychologin eines Kindergartens im September 2016 ebenfalls ihr „ungutes Gefühl“ geäußert und den Verdacht auf eine pädophile Neigung von Andreas V. ausgesprochen.
Hinweise über den Missbrauch auf dem Campingplatz in Lügde, die später „sicherheitshalber“ vom Jugendamt aus der Akte gelöscht wurden, wie der Presse unter Bezugnahme auf die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses zu entnehmen ist.
Sexueller Missbrauch – Evaluation nach Bauchgefühl: Da ist ja nichts, also löschen wir
Den Hinweisen sei nachgegangen worden, doch der Verdacht habe sich nicht erhärtet. Aus Sicht des Jugendamtes konnte der Mann den Verdacht entkräften, wurde aber engmaschig betreut. Die Familienhilfe kam wöchentlich, jedoch schmiss der Träger im April 2018 hin und zeigte eine chronische Kindeswohlgefährdung an.
Der Pflegevater müsse Erziehungsseminare besuchen, hieß es in den Akten des Jugendamtes. Anstatt die Einschätzungen der Familienhilfe oder der Psychologin eines Kindergartens ernst zu nehmen, verließ sich das Jugendamt auf sein Bauchgefühl und äußere Eindrücke, die es während Besuchen beim Täter hatte.
Bauchgefühl: Pädophiler rheinische Frohnatur
Das betroffene Mädchen habe glücklich und gut entwickelt gewirkt und der Täter Andreas V. wurde als „rheinische Frohnatur“ wahrgenommen, dem die erhobenen Vorwürfe niemand zugetraut hätte – das Mädchen verblieb somit in der Obhut des Täters Andreas V..
„Bartels verteidigte erneut die Unterbringung des Mädchens bei dem Dauercamper„, wie Radio Lippe von der Pressekonferenz berichtete. Das Kind habe sich außerdem von außen betrachtet viel besser entwickelt, als es vorher zu erwarten war. Es habe glücklich gewirkt. „Dass das alles Fassade war, wisse man erst heute.„, so Bartels.
„Andreas V. sei von den Mitarbeitern des Jugenamtes als „rheinische Frohnatur“ beschrieben worden, der ab und zu „bollerig“ reagiere. Pädophile Züge hätte ihm niemand zugetraut, sagt Bartels. „Er hat uns alle getäuscht.“
Lässt sich nächstes NRW Jugendamt von Bauchgefühl leiten?
Auch im Fall Stefanie Dresp aus Herford geht das Jugendamt mit den eindeutigen Hinweisen des sexuellen Missbrauchs der ältesten Tochter anscheinend nach Bauchgefühl vor. Die Mutter, Stefanie Dresp, wendete sich 2022, nachdem Sie Kenntnis über einen möglichen sexuellen Missbrauch ihrer Tochter erlangte, an die Ärztliche Beratungsstelle in Bielefeld, die wiederum eine Diagnostik von K. einleitete.
Frau Dresp zeigte den Kindesvater parallel bei der Polizei in Bielefeld an. Während die Mutter alles dafür tat, den Vorfall bestmöglich aufzuklären und Hilfe für ihre Tochter zu organisieren, wurde nach Sorgerechtsentzug und Inobhutnahme anschließend alles von Seiten des Jugendamtes und weiterer Beteiligter boykottiert und unterbunden.
Kaum war die Inobhutnahme vollzogen, wurde das Diagnoseverfahren abgebrochen. Eine objektive und fundierte Klärung wurde dadurch verunmöglicht.
Zuletzt äußerte sich die zuständige Sachbearbeiterin des Jugendamtes am 28.02.2023 im Sorgerechtsverfahren an das Oberlandesgericht Hamm jedoch noch alarmiert:
„Von Seiten der Ärztlichen Beratungsstelle in Bielefeld, an die K. eine Zeit lang angebunden war, wurde berichtet, dass K. ein schwer traumatisiertes Kind sei und erlebte Gewalt in Bezug auf Sexualität ein großes Thema sei. … Eine Sorgerechtsübertragung auf den Vater wäre für die Kinder zum jetzigen Zeitpunkt ein fatales Signal. …“
Quelle: Schreiben der zuständigen Sachbearbeiterin des Jugendamtes an das OLG vom 28.02.2023.
Dem Kindesvater entzog man bereits Ende 2022 aufgrund dieser Einschätzung und Empfehlung des Jugendamtes, dass K. durch sexuelle Gewalt traumatisiert sei, das Sorgerecht.
Obwohl die von der Mutter zuvor angelaufene diagnostische Abklärung längst durch das Jugendamt und Vormündin direkt nach der Inobhutnahme abgebrochen wurde und damit keine abgeschlossenen diagnostischen Ergebnisse mehr zu erwarten waren, begründen die zuständige Sacharbeiterin noch Ende Februar 2023 den Sorgerechtsentzug beim Vater mit dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs.
Sorgerechtsentzug beim Vater wegen Verdacht des Missbrauchs
Auf der einen Seite wird der Sorgerechtsentzug des Vaters mit dem dringenden Verdacht von sexueller Gewalt begründet, auf der anderen Seite wurden längst alle Diagnoseverfahren abgebrochen und nachfolgend behauptet, die Mutter hätte die Tochter beeinflusst und „ihre eigene Geschichte auf die Tochter übertragen“.
Mit diesem Bauchgefühl lassen sich natürlich ein paar „Gründe“ konstruieren, um der Mutter eine Kindeswohlgefährdung zu unterstellen, wo keine ist. Gut, dass der beanzeigte Vater mit einer denunziatorischen Meldung ans Jugendamt selbiges auf die Idee für ein weiteres Bauchgefühl brachte und deshalb im Hilfeplanprotokoll wie folgt niedergeschrieben wurde – übrigens ein HPG, bei dem man der Mutter selbstverständlich Teilnahme und Beteiligung verweigerte:
„Sehr wohl aber bestätigt sich durch die Verhaltensweisen und auch die telefonischen Manipulationsversuche seitens der Kindesmutter für uns immer mehr Hinweise auf eine Suggestionsübergabe des eigenen Erlebens von massiven Übergriffen, Misshandlungen und Missbrauch in der Kindheit der Kindesmutter auf ihre Tochter als posttraumatisch aktive transgenerationale Übergabe“.
Auch ein neues Diagnoseverfahren wurde nach der sehr kostspieligen Unterbringung der Kinder in einer speziell hierfür ausgewiesenen Therapeutischen Übergangshilfe, nicht eingeleitet.
Und das, obwohl die Übergangshilfe sogar Träger des Mindener Instituts für Traumapädagogik ist, therapeutische Gruppen anbietet und sich diagnostische und therapeutische Hilfen auf die Fahne schreibt.
Seit über einem halben Jahr und bei monatlichen Unterbringungskosten in der therapeutischen Übergangshilfe von 8.000 € monatlich pro Kind, findet nun seit Ende 2022 keine interne oder externe Diagnostik der ältesten Tochter statt.
„Wir engagieren uns für eine qualifizierte Umsetzung und Weiterentwicklung des reformpädagogischen Ansatzes der Traumapädagogik“, heißt es auf der Homepage der Einrichtung .
Statt Diagnostik und Hilfe: Sexueller Missbrauch mit Bauchgefühl weggefühlt?
Stattdessen wird der sexuelle Missbrauch aufgrund von reinem Bauchgefühl aus Beobachtungssituationen negiert und Umgänge mit dem Vater und seiner ältesten Tochter unterstützt, sogar unbegleitet.
Der Vater, der aufgrund des Verdachts des sexuellen Missbrauchs sein Sorgerecht verloren hat, darf sich seiner Tochter nun unbegleitet nähern.
Statt eine Diagnostik und Therapie des schwer traumatisierten Mädchens zu gewährleisten, verlässt man sich wie im zuvor beschriebenen Missbrauchsskandal in Lüdge auf äußere Beobachtungen in alltäglichen Gesprächs- und Spielsituationen und zieht daraus die „nötigen Schlüsse“.
Das Bauchgefühl der Therapeutischen Übergangshilfe im Wortlaut:
„K. benennt keinerlei sexuelle Übergriffe durch ihren Vater. Gerade das Thema des sexuellen Missbrauchs ist innerhalb der therapeutischen Übergangshilfe oft ein Gesprächsthema bei und zwischen den Kindern. Auch K. ist hier oft involviert, neugierig und sehr aktiv. Hingegen Sie durchaus bei gewaltähnlichen Situationen und zu Fehlverhalten seitens der Väter scharfe Kommentare gibt, bleibt ein Kommentar hier völlig außen vor. Auch nonverbal ist hier nichts Auffälliges zu bemerken.“
Auch äußert man sich wie folgt:
„…Sie wirkt lebendig und lebensfroh, hat Lust sich zu entwickeln und was zu erleben, hat Freude an der Schule, am Reite und am kreativ sein.“
(…)
„K. ist deutlich in einem Loyalitätskonflikt, sobald das Thema „Vater“ im Raum steht. Sie berichtet davon – für sie als Kleinkind – „Angstmachenden Situationen“, wenn der Vater Drogen konsumiert hat. Er hat dann auch einmal eine Waffe in der Hand gehabt et cetera.
(…)
„Es gibt auch in dem distanzierten Kontakt zu ihrem Vater keine körperliche = nonverbale Andeutung einer massiven Angst von der Nähe des Vaters bzw. überhaupt durch seine Anwesenheit im Raum. Aber auch keine aktive Dissoziation oder ein annähernd dissoziatives Verhalten bei seiner Anwesenheit. Über die nahezu aggressiven und überbordenden Botschaften der Mutter bezüglich der „Feststellung ihrerseits als Mutter“, dass K. einen Missbrauch geöffnet und bestätigt hat, können zu diesem Zeitpunkt hier keinerlei Befürwortungen ausgesprochen werden.“
Quelle: Hilfeplan K. vom 20.04.2023
Zur „Diagnostik / Externe Diagnostik, Medizinische Untersuchungen, Traumatisches Erleben“ wurde folgendes im Bericht der „Therapeutischen Übergangshilfe“ vermerkt:
Stand der internen Diagnostik (TTP in der Therapeutischen Übergangshilfe): „Bisher ist keine interne Diagnostik durchgeführt worden.“
Quelle: Hilfeplan K. vom 20.04.2023
Die Ermittlungen des Verdachtsfalles zum sexuellen Missbrauch an K. wurden vorläufig bei der Polizei in Bielefeld eingestellt, da weder K. als auch ihre jüngere Schwester (7 J.) nach der Inobhutnahme zu Aussagen erschienen sind.
Dadurch wurden auch weitere Untersuchungen seitens der Polizei aktiv durch das Jugendamt, die Vormünderin und der therapeutischen Übergangshilfe verhindert. Eine strafrechtliche Ermittlung des Falles konnte nicht weiter durchgeführt werden, da K. nach der Inobhutnahme nicht bei der Polizei aussagte. Die Ermittlungen wurden aufgrund der ausbleibenden Aussage des Opfers eingestellt.
Wie bereits im Artikel „Umgang bei Missbrauchverdacht“ zitiert, rät die Bundesregierung auf Ihrer Webseite UBSKM:
Bevor mögliche Täter oder Täterinnen von dem Verdacht erfahren, sollte das Kind bzw. die*der Jugendliche geschützt sein vor dieser Person bzw. diesen Personen. Sonst besteht das hohe Risiko, dass der Täter oder die Täterin das Kind oder die*den Jugendlich e*n unter Druck setzt und damit zum Schweigen bringt.
Man könnte vermuten, man habe nichts seit dem Missbrauchsskandal in Lüdke dazugelernt.
Hallo, das kann doch nicht wahr sein. Man sollte neimand vorverurteilen. Aber man muss doch die Kinder schützen vor sowas. Warum sind die Kinder in so einem Diagnostikzentrum, wenn das nicht untersucht wird? Sowas macht mich fassungslos. Gabriele Fuchs
Oh nein, wie schlimm, ich wohne selber in Herford und mir kamen fast die Tränen. Das hätte ich von Herford nie gedacht, dass die so mit Familien umgehen, die auf Hilfe angewiesen sind. Nein, nein, ganz schlimm. Ich würde gerne helfen, wenn ich darf würde ich mich per E-Mail gerne melden.
LG Kira
Hallo Kira, herzlichen Dank für deinen Kommentar. Wir freuen uns auf deine Mail und melden uns schnellstmöglich bei dir. Viele Grüße, das Webmaster-Team